Eine 19-jährige junge Frau bekommt von ihrem Vater eine solche Ohrfeige, dass dieser sie anschließend mit geplatztem Trommelfell in die Notaufnahme fahren muss. Dort erklärt der Vater die Situation, der diensthabende Arzt reagiert mit Verständnis für den Vater. Bei „der heutigen Jugend könne einem schon mal die Hand ausrutschen.“ Der Vater ist ein bekannter Politiker.
Eine meiner Klientinnen wurde von ihrem ehemaligen Partner mehrfach so geschlagen, dass ihre Lunge verletzt wurde und sie mit einer Titanplatte in der Brust versorgt werden musste. Als sie damals ihre nächsten Freund*innen und Bekannten darauf ansprach, wie toxisch die Beziehung ist, in der sie lebt, wurde sie von niemandem ernst genommen. Niemand glaubte ihr. Ihr ehemaliger Partner arbeitet als Arzt in der Pflege.
Eine andere meiner Klientinnen wurde vom eigenen Mann jahrelang gemobbt, weil er ihre Brüste zu klein fand.
Eine meiner jüngeren Klientinnen musste sich im Alter von 5 bis 17 Jahren jeden Sonntag nackt neben ihren Stiefvater legen. Als sie in einer Anlaufstelle für sexualisierte Übergriffe um Hilfe fragte, wurde sie darauf hingewiesen, dass es ja wohl normal sei, dass ein Stiefvater mit seiner Tochter „kuscheln“ wolle.
Eine weitere Klientin wurde jahrelang von ihrem Freund Nacht für Nacht mit K.-o.-Tropfen betäubt, damit er an ihr sexualisierte Gewalt ausüben konnte.
Sind das Einzelfälle? Leider nicht. Das ist die Normalität unserer Gesellschaft, die mir in meiner Praxis, aber auch in meinem Alltag ständig begegnet: Misogynie.
Misogynie, die sich nicht nur auf individuelle „Einzel-Fehltritte“ reduzieren lässt, sondern auf tief verwurzelte soziale Strukturen und kulturelle Normen zurückzuführen ist. Diese Muster der Dominanz und Kontrolle manifestieren sich in verschiedensten Lebensbereichen und sind oft subtil in unseren Alltag integriert. Um effektiv gegen diese Strukturen vorzugehen, müssen wir uns fragen, welche Rollenbilder wir leben und vertiefen und wie Bildungssysteme, Medien und Politik zur Aufrechterhaltung oder zum Abbau dieser Machtgefälle beitragen können.
Daher ist es wichtig, dass wir nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen dieser abhaltenden gesellschaftlichen Abwertung und der Gewalttaten ergründen und verstehen. Das erfordert eine kritische Reflexion unserer gesellschaftlichen Werte und der Mechanismen, durch die Ungleichheit und Diskriminierung weiterhin gefestigt werden. Dieser Diskurs ist essenziell, um nachhaltige Veränderungen zu fördern und eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von Geschlecht gleichberechtigt sind und Respekt erfahren.
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