Unternehmen bitten mich regelmäßig darum, in Bewerbungsgesprächen dabei zu sein. Ich kenne die Teams, für die neue Kolleg*innen gesucht werden. In den Gesprächen geht es um die Möglichkeit einer zukünftigen konstruktiven Zusammenarbeit. Zusätzlich entwickle ich Strategien, um das „Onboarding“ so zu gestalten, so dass von Anfang an für alle eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit entstehen kann.

Offiziell diverse Bewerber*innen sind mir bisher nur wenige begegnet. Doch zwischen der Bewerbungssituation von Frauen und Männern nehme ich so eklatante Unterschiede wahr, dass diese mich manchmal wirklich noch Wochen nach dem Gespräch beschäftigen.

Die meisten Männer zeigen in Bewerbungssituationen Profil. Sie stehen zu sich, zu ihrer Persönlichkeit. Burn-out wird inzwischen genauso thematisiert wie Work-Life-Balance. Auf die Frage „Was möchten Sie, das auf keinen Fall in Ihrer neuen Arbeitssituation passieren sollte?“, wissen sie eine Antwort und benennen diese. Auf Arbeitgeberseite kann so ein klares Bild von einer Persönlichkeitsstruktur und deren Bedürfnissen entstehen, die auch auf der Empathie-Ebene stimmig sein sollte. Und auch wenn der Bewerber dann eben nicht passt, weil er klare Vorstellungen davon hat, was er will, kann, leisten möchte und was eben auch nicht, ist eine Entscheidung gegen eine gemeinsame Zusammenarbeit eine gute Entscheidung – weil sie für beide Seiten Sinn macht.

Die meisten Frauen, die ich in Bewerbungssituationen erlebe, mutieren fast ausnahmslos in Sekunden zu „Papas braver Tochter“ – egal, wie taff und gestanden sie schon sind. Ich vermute, dass sie Bewerbung mit Bewertung verwechseln, was leider fatale Folgen hat. Ich beobachte, dass Frauen dann ihre Persönlichkeit verstecken, anstatt sie bewusst zu zeigen. Sie versuchen vor allem, richtig zu sein, ins Bild zu passen, in den Job zu passen. Ich erlebe, dass Phrasen ausgesprochen werden wie: „Ich werde mein Bestes geben“, „Ich werde mich richtig anstrengen“, „Ich werde erfolgreich sein“. Tatsächlich sind das Bemühungen, die ein*e Arbeitgeber*in voraussetzt und in einem Bewerbungsgespräch nicht hören will oder muss. Ein*e Arbeitgeber*in möchte in einem solchen Gespräch ein Gefühl und eine Sichtweise dafür entwickeln, mit wem er/sie es tatsächlich zu tun hat. Gesucht werden Persönlichkeiten, die wirklich auf die Stelle und ins Team passen. Es soll geklärt werden, ob es eine gute Zukunft geben kann für beide Seiten. Doch das geht nur, wenn die Bewerberinnen zu sich stehen. Authentisch sind. Doch ich erlebe kaum Authentizität.

Auf die Frage, was auf keinen Fall im neuen Job passieren soll, geben Frauen keine klaren Antworten. Alles ist angeblich händelbar, alles schaffbar, alles machbar. Solche Statements vermitteln allerdings eher, dass die Frauen weder ihre Belastungsgrenze kennen noch, dass sie wahrnehmen, was ihnen tatsächlich guttut und was nicht. Zusätzlich kommuniziert es, dass sie sich nicht abgrenzen können.

Für mich fühlen sich solche Gespräche unglaublich frustrierend an. Ich spüre, wie sich mein Interesse an der Person schnell verflüchtigt. Ich spüre, wie es den Arbeitgeber*innen genauso geht. Je bemühter eine Bewerberin ist, umso weniger zeigt sie von ihrer eigenen Persönlichkeit, umso mehr versteckt sie ihr tatsächliches Profil. Und genau das ist für niemanden hilfreich.

Fazit: Bewerbungsgespräche sind keine Bewertungen! In einem solchen Gespräch geht es nicht darum, richtig zu sein, sondern darum, gemeinsam herauszufinden, ob freie Stelle und Bewerberin tatsächlich zusammenpassen. Denn es bringt niemandem etwas, wenn dem nicht so ist. Deshalb ist es wichtig zu sich, zu seiner Persönlichkeit und zu seinen „NoGos“ zu stehen, denn genau das wird von einer erwachsenen Frau erwartet.

Und von Papas braver Tochter sollten sich Bewerberinnen dringend verabschieden.

Papas Brave Tochter