Neue Führungskultur bedeutet auch eine Anpassung der tradierten Vorgehens- und Sichtweisen!
In meiner jahrelangen Begleitung von Organisationen und Führungskräften stoße ich immer wieder auf ein Muster, das dringend geändert werden muss:
Betroffene (Opfer) von sexuellen Übergriffen, werden nach der Aufklärung der Vorwürfe in den meisten Fällen in eine andere Abteilung versetzt.
„Für ihr eigenes Wohl“, wird dann gesagt. „Damit sie das Erlebte leichter verarbeiten können.“ … oder … „Damit sie neu anfangen können!“, … oder … „Weil sie sich ja in ihrer alten Abteilung nicht mehr sicher fühlen würden.“ … oder: „… Weil sie sich sicher schämen …“
Diese Entscheidung wird oft über die Köpfe der Betroffenen hin gefällt, egal, ob sie das wollen oder nicht und ihnen dann in einer angeblich wohlwollenden, fürsorglichen Art und Weise vermittelt. Dabei ist dieses erneute „Wohlwollen“ nur eine weitere Übergriffigkeit, diesmal allerdings aus dem Unternehmen heraus.
Warum mich das stört und warum es uns alle stören sollte:
Diese Vorgehensweise ist nicht nur destabilisierend für die Betroffenen, sondern sendet auch ein extrem falsches Signal. Warum das so ist?
  1. Psychologische Belastung: Die Betroffenen empfinden die Versetzung als zusätzliche Strafe. Die Versetzung impliziert, dass die Betroffenen etwas falsch gemacht haben und deshalb gehen müssen. Als ob die Betroffenen diejenigen wären, die das Problem verursacht haben.
  2. Destabilisierung des Arbeitsumfelds: Versetzung bedeutet, sich an eine ganz neue Umgebung und neue Kolleg*innen zu gewöhnen. Eine zusätzliche Belastung, die in einer solchen Situation niemand braucht.
  3. Untergräbt die Unternehmenskultur: Dieses Vorgehen sendet die Botschaft, dass die Täter*innen geschützt werden und die Betroffenen „weg müssen“. Sollte es nicht genau umgekehrt sein?
  4. Die Botschaft an die Täter*innen: „Ihr könnt bleiben. Die Organisation wird sich um die Betroffenen kümmern, nicht um euch.“ Diese implizite Botschaft verleiht den Täter*innen ein Gefühl der Sicherheit und der Toleranz.
Warum also, werden in einem solchen Fall nicht automatisch der/die Täter*innen versetzt? Das wäre nicht nur gerecht, sondern würde ein klares Zeichen für eine inklusive und diverse Unternehmenskultur setzen, in der Machtspiele, sexuelle Übergriffe oder das Ausnutzen v. Führungspositionen null toleriert werden – egal, auf welcher Ebene der Firmenhierarchie sich die Täter*innen bewegen.
Es ist an der Zeit, dass Führungskräfte, Unternehmen, Gleichstellungsbeauftragte die Vorgehensweise im Umgang mit sexualisierten Übergriffen am Arbeitsplatz gründlich überdenken.
Ich fordere Organisationen und Führungskräfte auf, anstatt die Betroffenen – wie üblich – zu versetzen, sich auf die Verantwortung den Täter*innen zu fokussieren u. diesen eine Weiterentwicklung in jeglicher Hinsicht zuzumuten.