„Ich muss mich jetzt um mich kümmern!“

Dieser Satz, der fast wie eine Drohung klingt und sich übrigens auch so anfühlt, wenn er so ausgesprochen wird, begegnet mir in 98 % aller Erstgespräche, die ich mit Klientinnen führe.

Auslöser für solch ein Gespräch ist meist eine Krise, eine Krankheit, eine psychische Veränderung, wie zum Beispiel depressive Schübe, Ängste oder Hoffnungslosigkeit.

Sich um sich selbst zu kümmern, kommt in unserer Handlungskette irgendwie ganz weit hinten. Es ist eine der letzten Optionen, die uns einfällt, wenn es uns nicht so gut geht. Dabei ist es doch eigentlich logisch, dass wir kein „Perpetuum Mobile“ sind, das in der Lage ist, Energie stets und ständig und ohne Energieverlust aus sich selbst zu schöpfen.

Die Frauen, die dann bei mir im Coaching sitzen, sind meistens ziemlich am Ende. Als unterstützende Person, die meinen Klientinnen all mein Wissen zur Verfügung stellt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, eine solche Krise als Chance zu sehen, bin ich manchmal erschüttert über den hohen Leidensdruck, den Frauen über lange Zeit ertragen können.

Doch um tiefere Prozesse anregen zu können, finde es immer sehr wichtig, darüber nachzudenken, wie es eigentlich dazu kommt, dass es so ist, wie es ist.

Nun, eine Leistungsgesellschaft belohnt uns nicht dafür, wenn wir uns um uns selbst kümmern (und damit nicht nur unsere Lebenslust, sondern auch unsere Arbeitskraft erhalten). Eine Leistungsgesellschaft belohnt, wenn wir Leistung bringen – möglichst über das normale Maß hinaus. Dieses Bewertungssystem greift schon sehr früh, allerspätestens beginnt es in der Schule. Unbewusst wird dabei vermittelt, dass die „Wartung der Maschine“ irgendwie unsere Aufgabe ist. Wichtig ist, dass sie läuft.

Es gibt einige wenige Bonussysteme, die von Krankenkassen verwendet werden, aber das war’s dann schon. Sehr wenige Arbeitgeber*innen kümmern sich um die Gesundheitsvorsorge ihrer Mitarbeiter*innen. Es gibt sie, aber sie sind doch eher die Ausnahme.

Insofern ist die Notwendigkeit, sich um sich selbst zu kümmern, fast schon etwas „Lästiges“, für das ich mich überwinden muss, Zeit zu haben und Geld auszugeben.

Es dauert meistens ein bisschen, bis die Klientinnen dann im Prozess erkennen, wie wertvoll und wichtig und vor allem komplex die Entscheidung für eine gelebte Selbstfürsorge für das ganze Leben und viele Bereiche ist. Sie erkennen, dass dieses so wichtige und grundlegende Thema, wie ein Kokon ihr ganzes Leben umfasst. Dazu gehört nicht nur die Arbeitssituation, sondern dieses wichtige Thema findet sich auch in Beziehungspflege, Familie, der eigenen Lebensgestaltung, Gesundheit, Glück und Zufriedenheit, ja selbst in der Sexualität wieder.

Denn erst, wenn wir uns der Selbstfürsorge hingeben, auf eine Art und Weise, die in unser Leben integrierbar ist, und damit unsere Selbstbestimmung entwickeln, dabei Lebenslust, sowie psychische und körperliche Gesundheit erlangen, bekommen wir eine Ahnung davon, wie sich Leben noch anfühlen kann.

Und ja, es ist eine gute Entscheidung, in die eigene Selbstbestimmung zu investieren. „Dann kaufe ich mir eben eine Hose weniger“, sagte neulich eine Klientin, nach unserer ersten Sitzung mit Tränen in den Augen. „Ich habe doch nur dieses eine Leben.“ Grund für unsere gemeinsame Arbeit ist eine schwere Krebserkrankung, die sie nun überstanden hat. Für diese zweite Chance, ihr Leben noch mal neu auszurichten, ist sie sehr dankbar.

Der schwerste und zugleich schönste Weg im Leben führt Dich zu Dir selbst. Warte nicht auf bessere Umstände, sondern beginne mit dem, was Du bist – der erste Schritt wird den Weg öffnen.(Dr. Martina Schönebeck)

Wiebke Wiedeck: Coachin