Die Frau, die sich nicht mag, hat wunderschöne lange Haare, die wie Wellen ihren Rücken entlang gleiten. Sie ist schlank und ihre rehbraunen Beine zittern, wenn sie davon erzählt, was alles an ihr falsch ist. Ihre Augen sind tiefe Seen und braune Punkte schwimmen in ihnen. Winzige Sommersprossen verzieren ihr Lachen, das schüchtern sich nur selten zeigt. Sie hat ein offenes Herz und ihr Gesicht ist bedeckt mit Tränen, wenn sie mir davon erzählt, dass ihre Mutter sie nicht liebt. Sie ist in einem Alter, in dem es schwer sein wird, noch ein erstes Kind zu empfangen. Sie schämt sich dafür, dass sie noch nicht Mutter ist, obwohl sie nie Mutter sein wollte. Sie hat einen Partner, der nicht gut ist für sie. Das weiß sie genau und doch hofft sie, dass er sich irgendwann einmal ändern wird.

Die Frau, die sich nicht mag, streicht mit ihrer zarten Hand durch kurzes blondes Haar. Strahlende Augen glänzen. In ihnen wohnen Traurigkeit und Fröhlichkeit nebeneinander. Sie hat ein ansteckendes Lachen und ist verliebt in jede Blume am Wegesrand. Sie singt gern und erzählt mit schnellen Worten von Menschen, die sie verletzt haben. Sie erzählt davon, dass sie diese Verletzungen nicht mehr zulassen möchte und wie schwer es ihr fällt, diesen Kampf zu kämpfen. Sie rettet jeden Tag viele Leben, wenn sie an dem kalten Tisch aus Metall steht und mit spitzen Skalpellen in Körper eindringt. Sie tut das fast mechanisch, alle ihre Gefühle sind dabei ausgeschaltet. Wie eine Präzisionsmaschine macht sie einen Schnitt nach dem anderen. Das kann sie gut, Leben retten. Neulich hat sie dafür sogar einen Preis bekommen. Und doch ist sie sich nicht gut genug, denn sie findet, dass ihr Leben nicht perfekt ist. Sie hat wenig Zeit für ihr Kind und deshalb ständig ein schlechtes Gewissen. Ihr Mann betrügt sie und sie gibt sich selbst die Schuld. Sie erträgt es, denn sie möchte ihrer Tochter nicht ihr zu Hause nehmen, vor allem, weil sie so wenig da ist. Manchmal, kurz bevor ihre Hände ein krankes Herz umfangen, um es zu heilen, fragt sie sich, was eigentlich falsch gelaufen ist. Irgendwie hatte sie sich ihr Leben anders vorgestellt. Und dann schneidet sie und versinkt in Blut und Tod und Leben und Heilung. Und hat keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.

Die Frau, die sich nicht mag, legt ihre knochigen Hände mühsam auf den Krückstock. Sie sitzt gekrümmt und doch erkenne ich, dass sie versucht, aufrecht zu sein. Sie lebte bereits ein langes Leben, voller Kummer und Sorgen und Erfüllung. Sie weiß, wie schwer es war, trotz ihrer Traumata zu leben. Deshalb tat sie Gutes, jeden und jeden Tag auf neue. Nun ist sie alt und fragt sich, ob sie hätte irgend etwas anders hätte tun sollen. So viele Momente fallen ihr ein, in denen sie sich falsch entschieden hatte. Doch, dass sie es damals nicht besser wusste, kann sie sich heute nicht verzeihen.

Das Mädchen, das sich mag, lacht und tanzt und rennt nackt über die Wiesen. Es mag seinen Körper und seine Haare, es mag sein Lachen und es lacht gern. Es tanzt gern in großen Schritten durch hohes Gras und reckt seinen kleinen Bauch in den warmen Sonnenschein. Es bestaunt den bunten Schmetterling auf der Blume und fühlt sich selbst, wie Schmetterling und Blume zugleich. Es johlt und ruft sein Glück laut in den blauen Himmel. Es weiß noch nichts davon, dass es eines Tages streng werden wird, mit sich selbst. Dass es seinen Körper nicht mehr mögen wird und dass es denken wird, es reicht nicht. Dass es sich nicht gut genug fühlen wird. Dass es immer und immer wieder versuchen wird, an die gefotoshopten Schönheiten in den Magazinen heranzukommen und vor Frust nichts mehr essen wird, tagelang. Das alles weiß das kleine Mädchen noch nicht. Es steckt genüsslich Schokolade in den Mund und genießt das Hier und Jetzt. Wenn es doch so bliebe.