Bei so vielen jungen Frauen sehe ich sie: Narben, die sich diese Frauen selbst zugefügt haben. Und jedes Mal, wenn ich sie sehe, trifft mich Mitgefühl erneut, bis ins Mark.
Frauen ritzen sich tiefe Wunden in die Arme, in die Beine, in den Bauch, weil sie sich selbst verletzen. Sie verletzen sich selbst, weil dieser Weg, dieser scheinbare Ausweg, richtiger erscheint, als diejenigen zu verletzen, die ihnen weh getan haben. Das ist absurd, hat aber letztlich etwas mit unserer Gesellschaft zu tun.
Wenn sich die Frauen selbst verletzen, wird ihnen eine psychische Krankheit bescheinigt. Damit werden sie zusätzlich bestraft. Sie bekommen einen Stempel, der da sagt: „Schau an, wie falsch du bist. Schau an, wie krank du bist.“ Dabei sind die Menschen „krank“, die diesen Frauen unbeschreiblich viel Schmerz zugefügt haben. So viel Schmerz, dass die Frauen diesen nicht mehr ertragen. Dass sie keinen Ausweg mehr sehen. Dass sie sich in das eigene Fleisch schneiden, weil sie sich selbst nicht mehr aushalten können. Weil sie ihren Schmerz nicht mehr aushalten können. Weil sie die Stimmen im Kopf nicht mehr aushalten können. Diese Stimmen, die ihnen sagen, sie wären das Problem. Die Stimmen, die sie demütigen und auslachen. Die Stimmen, die sie begleiten, viele, viele Jahre und niemand hilft ihnen, sie zum Schweigen zu bringen. Die Frauen bekommen Psychopharmaka, damit sie gefälligst aushalten, was ihnen angetan wurde. Auch das ist in unserer Gesellschaft logischer, als sich mit den Täter*innen auseinanderzusetzen.
Viele meiner Klientinnen erzählen mir, dass sie versucht haben, Hilfe zu bekommen. Dass sie sich nach Hilfe gesehnt haben. Dass ihnen dieser verweigert wurde. Die Männer, die sie verletzt haben – Väter, Stiefväter, ehemalige oder aktuelle Partner, Chefs, Kollegen – sie alle waren scheinbar unantastbar. Selbst Hilfsorganisationen, selbst andere Psycholog*innen vermittelten diesen Frauen das Gefühl, dass sie keine Chance damit haben, sich gegen die Täter zu stellen. Sie sollen sich mal nicht so haben und gefälligst an SICH arbeiten, SICH hinterfragen, SICH ändern.
Frauen, die anstatt sich zu wehren, sich ins eigene Fleisch schneiden.
Die Narben auf den Körpern dieser Frauen sind unser aller Problem. Sie sind ein gesellschaftliches Problem.
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